
Die HR-Funktion befindet sich im Spannungsfeld von strategischem Anspruch, Effizienzdruck und tiefgreifender Transformation. Neue Anforderungen entstehen durch technologische Disruption, sich wandelnde Erwartungen der Mitarbeitenden sowie die Notwendigkeit, Transformationen aktiv mitzugestalten.
Wenn wir über die Aufstellung und Aufgabenverteilung in HR nachdenken, so gilt nach wie vor das klassische Drei-Säulen-Modell nach Dave Ulrich, welches aber in der Vielfalt und Dynamik der heutigen Arbeitswelt oft nicht mehr passend ist. Gleichzeitig ist es ein Meilenstein der HR-Professionalisierung, das verstanden und weiterentwickelt werden muss. Dieser Beitrag analysiert das Ursprungsmodell, zeigt dessen Weiterentwicklungen durch Ulrich selbst sowie Varianten anderer Denkrichtungen, erklärt zentrale Begriffe und diskutiert entlang der historischen Entwicklung, wie sich das HR Operating Model zur heutigen Netzwerklogik gewandelt hat.
Das klassische Drei-Säulen-Modell von Dave Ulrich (1997)
Dave Ulrich veröffentlichte 1997 das Buch „Human Resource Champions“, in dem er das HR Operating Model als funktionale Dreigliederung vorstellte. Es unterscheidet drei klar zugewiesene Säulen:
- HR Business Partner (HRBP): Strategisch beratende Funktion mit Nähe zum Business. HRBPs übersetzen Unternehmensstrategien in HR-Initiativen und beraten Führungskräfte zu Themen wie Talententwicklung, Kulturwandel oder Reorganisation.
- Center of Expertise (CoE): Methodische Kompetenzzentren für spezifische Themen wie Learning & Development, Compensation & Benefits oder Labour Relations. Sie definieren Standards, entwickeln Tools und steuern zentrale Programme.
- HR Services / Shared Services: Verantwortlich für die effiziente Bearbeitung administrativer Aufgaben – von der Gehaltsabrechnung über Vertragswesen bis hin zur Verwaltung von Abwesenheiten. Sie arbeiten häufig mit SLAs, Self-Services und zunehmender Automatisierung.
Im Zentrum des Modells steht das Ziel, Effizienzgewinne durch Arbeitsteilung zu erreichen, strategische Beratung zu ermöglichen und gleichzeitig Servicequalität zu sichern. In der Praxis jedoch führten diese klaren Zuständigkeiten häufig zu Silo-Strukturen. Die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten blieb reaktiv, die Rolle der HRBP war oft zu diffus – mit der Folge, dass strategische Wirkung ausblieb. Besonders die HR Services wurden lange als „Hygienefaktor“ angesehen. Dabei leisten sie einen grundlegenden Beitrag entlang der Mitarbeitenden-Organisationsbeziehung – als Ankerpunkt für Prozessqualität, Compliance und die alltägliche Employee Experience.
Zudem wurde in der betrieblichen Umsetzung oft deutlich, dass die Skalierbarkeit des Modells stark von Unternehmensgröße und technischer Infrastruktur abhängt. In kleineren Organisationen übernahmen einzelne HR-Verantwortliche oftmals mehrere Rollen gleichzeitig – was zwar pragmatisch ist, aber nicht dem intendierten Modell entspricht.
Damit steht das klassische Modell zugleich für eine Professionalisierung der HR-Arbeit – und für die Notwendigkeit, seine Prinzipien heute weiterzudenken.
Kritik am HR Business Partner Modell: Umsetzungsschwächen und strukturelle Grenzen
Obwohl das Drei-Säulen-Modell von Dave Ulrich einen Meilenstein in der Professionalisierung der HR-Arbeit darstellt, zeigen sich in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bei seiner Umsetzung – insbesondere im Spannungsfeld wachsender Veränderungsdynamik und strategischer Neuausrichtung. In vielen Organisationen, gerade im deutschsprachigen Raum, wurde das Modell strukturell implementiert, ohne seine dahinterliegende Haltung und Logik zu verankern. Das hat zu funktionalen wie kulturellen Spannungen innerhalb der HR-Organisation geführt.
Die folgenden Punkte fassen die zentralen Kritiklinien zusammen:
- Unklare Rollenbilder und fehlende Erwartungsklarheit
Die Rolle des HR Business Partners bleibt in vielen Organisationen unscharf definiert. Fachbereiche wissen oft nicht, welchen Beitrag sie erwarten können – und HR intern nicht, wie die Rolle wirkungsvoll auszufüllen ist. Ohne klar definierte Zielbilder verschwimmt die strategische Ambition im operativen Klein-Klein. - Form über Haltung
In zahlreichen Unternehmen wurde das Modell als organisatorische Strukturmaßnahme umgesetzt – ohne kulturelle oder inhaltliche Verankerung. Neue Titel führten nicht automatisch zu neuer Wirksamkeit. Statt strategischem Dialog blieb vielfach das klassische Personalreferat in neuer Verpackung bestehen. - Fragmentierung statt Zusammenarbeit
Die funktionale Trennung zwischen HR Business Partnern, Centers of Expertise und HR Services schafft häufig Silos. Fehlende horizontale Prozesse, unklare Schnittstellen und mangelnde gemeinsame Zielsysteme behindern eine integrierte Zusammenarbeit. - Unzureichende Kompetenzentwicklung
Die Rolle des HRBP erfordert umfassendes Business-Verständnis, strategische Beratungskompetenz und Veränderungsfähigkeit. Diese Anforderungen werden in der Praxis jedoch selten durch gezielte Entwicklung oder Rollensupport unterlegt. Viele HRBPs fühlen sich überfordert oder allein gelassen. - Strategieanspruch unter Alltagsdruck
Anstatt strategisch zu beraten, sind viele HRBPs weiterhin in operative Abläufe eingebunden – von Einzelanfragen bis hin zu Konfliktmoderation. Die strategische Rolle bleibt ein Anspruch, der im Tagesgeschäft regelmäßig untergeht. - Anschlussdefizite zu modernen HR-Themen
Entwicklungen wie Employee Experience, Workforce Analytics oder agile Organisationsgestaltung sind im ursprünglichen Modell nicht vorgesehen. Die mangelnde Anschlussfähigkeit an diese Themen erschwert die Weiterentwicklung des Modells im heutigen Kontext.
Diese Punkte machen deutlich: Das HR Business Partner Modell muss weitergedacht und modernisiert werden. Es braucht nicht nur neue Strukturen, sondern neue Rollendefinitionen, Qualifizierungsansätze und eine gemeinsame Verantwortung für Wirkung. Wie diese Weiterentwicklung gelingen kann, zeigen die folgenden Abschnitte – anhand der Ansätze von Dave Ulrich selbst und weiterer zukunftsweisender HR-Modelle.
Strukturmodell zur Wirkungsperspektive: Dave Ulrichs Weiterentwicklung
In Reaktion auf die Herausforderungen und Grenzen des klassischen Drei-Säulen-Modells hat Dave Ulrich sein HR Operating Model ab 2021 grundlegend weitergedacht. Der Fokus liegt nicht mehr auf den organisatorischen Capabilities, sondern auf den vier Wirkungseinheiten, auf denen HR aktiv Wert stiften kann – quer durch die Organisation, unabhängig von klassischen Zuständigkeiten.
Ulrich unterscheidet folgende vier Wirkungseinheiten:
- Individuen / Talente: Befähigung und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden – durch Lernangebote, transparente Karrierepfade und ein förderliches Arbeitsumfeld.
- Führung: Stärkung von Leadership durch Coaching, Kulturarbeit und Führungskräfteentwicklung.
- Organisation: Gestaltung agiler, werteorientierter Strukturen, die Innovation, Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme ermöglichen.
- Business: Konkreter Beitrag zur Wertschöpfung, Widerstandsfähigkeit und Transformationsfähigkeit des Unternehmens.
Mit diesem Perspektivwechsel verändert sich auch das Rollenverständnis innerhalb von HR. Rollen wie „People Experience Architect“, „Capability Builder“ oder „Data Translator“ ersetzen klassische Funktionsbezeichnungen. HR wird nicht länger als eigenständiger Dienstleister verstanden, sondern als gestaltender Teil der Organisation – vernetzt, flexibel und messbar in seiner Wirkung.
Besonders relevant ist dabei die Idee der HR-Plattformlogik: HR stellt nicht mehr einzelne Maßnahmen oder Services bereit, sondern orchestriert – gestützt durch Technologie – ein ganzheitliches Leistungsportfolio entlang der Employee Journey. Self-Service, personalisierte Lernangebote und datenbasierte Steuerungsimpulse machen HR zu einem kontinuierlichen Partner für Business, Führung und Mitarbeitende.
Die Weiterentwicklung von Ulrich zeigt: Das HR Operating Model muss sich anpassen – an neue Erwartungen, neue Technologien und an die Notwendigkeit, Veränderung mitzugestalten. Der Weg führt weg von der Strukturorientierung hin zu einer konsequent wirkungsorientierten Architektur, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt.
Alternative Denkmodelle für das HR Operating Model: Plattformen, Netzwerke und Rollenlogik neu gedacht
Neben der Weiterentwicklung des klassischen Drei-Säulen-Modells durch Dave Ulrich sind in den letzten Jahren eine Vielzahl alternativer HR-Architekturmodelle entstanden. Sie kommen insbesondere aus der strategischen Organisationsberatung und spiegeln den Einfluss technologischer Plattformlogik, agiler Organisationsprinzipien und nutzerzentrierter Gestaltung wider. Die hier vorgestellten Konzepte stammen unter anderem von Josh Bersin, Deloitte und Mercer.
Sie zeigen unterschiedliche Denkansätze auf, die teilweise stark von der strukturellen Logik des Ulrich-Modells abweichen – sich aber in vielen Organisationen als anschlussfähig oder sogar notwendige Ergänzung erwiesen haben.
- Josh Bersin: High-Impact HR Operating Model
Bersins Modell beschreibt HR als agiles Netzwerk von themenbezogenen Teams, nicht als feste Struktur mit definierten Linienfunktionen. Diese „HR Pools“ – etwa für Learning, Recruiting, Analytics oder Culture – arbeiten crossfunktional und datengetrieben. Ziel ist es, Reaktionsgeschwindigkeit, Nutzerzentrierung und strategische Wirkung gleichzeitig zu erhöhen. Leadership Development und People Analytics sind in diesem Modell keine Sonderfunktionen, sondern integrale Bestandteile jedes Teams. - Deloitte: Exponential HR
Deloitte versteht HR als skalierbare Serviceplattform. Die HR-Funktion wird modular aufgebaut und technologiegestützt orchestriert. Zentrale Annahme ist: HR-Services müssen jederzeit, kontextsensitiv und personalisiert verfügbar sein. Technologien wie RPA, KI, Workflow-Automatisierung und Experience-Plattformen machen dies möglich. Führungskräfte und Mitarbeitende werden in die Lage versetzt, situativ auf Tools, Beratung und Information zuzugreifen – HR steuert die Rahmenbedingungen, nicht mehr die Details. - Mercer HR Operating Framework
Mercer schlägt vor, HR nicht länger als getrennte Funktion, sondern als „People Enabling Network“ zu verstehen. Im Mittelpunkt stehen rollenbasierte Akteur:innen mit klaren Wirkungszielen: z. B. Experience Designer, Capability Manager oder Skill Architect. Diese Akteur:innen agieren in flexiblen Projekten und Services – eingebettet in ein Ökosystem aus Plattformen, externen Dienstleistern und Business-Stakeholdern. Das Modell betont Co-Creation, Shared Ownership und datenbasierte Entscheidungsfindung.
Diese Modelle unterscheiden sich in ihrer methodischen Ausgestaltung, zeigen aber in ihrer Grundidee eine klare Linie: Sie rücken weg von starren Funktionslogiken und hin zu einer dynamischen, an Wirkungspfaden orientierten Architektur. HR wird zum vernetzten Ermöglicher – und verliert dabei nicht an Struktur, sondern gewinnt an Agilität und Anpassungsfähigkeit.
HR Services im Wandel: Synthese aus Plattformlogik, kontinuierlicher Verbesserung und People Experience
Die Zukunft der HR Services liegt nicht in einem einzelnen Modell, sondern in der Synthese mehrerer Perspektiven. Aufbauend auf den Impulsen aus der Weiterentwicklung des Ulrich-Modells und den alternativen Architekturansätzen von Deloitte, Mercer und Bersin lassen sich drei komplementäre Entwicklungsrichtungen beschreiben, die gemeinsam eine strategisch ausgerichtete Servicearchitektur formen:
- Plattformlogik als Grundlage für Operational Excellence Die von Deloitte skizzierte Idee eines modularen, technologiegestützten HR-Backbones bildet das Fundament. HR wird als Plattform verstanden, die Self-Services, Automatisierung und datenbasierte Prozesssteuerung bereitstellt. Dadurch entsteht ein skalierbares, zuverlässiges und kosteneffizientes Fundament, das für eine hohe Servicequalität sorgt – vergleichbar mit einem gut funktionierenden digitalen Betriebssystem.
- Continuous Improvement als organisationsinterner Lernpfad Aufbauend auf dieser Plattformlogik entfaltet sich eine lernende Serviceorganisation. Inspiriert durch Lean-Prinzipien, Feedbackschleifen und Prozessverantwortung innerhalb der Teams wird die operative Exzellenz kontinuierlich weiterentwickelt. Ziel ist es, nicht nur Effizienz, sondern auch Relevanz und Qualität permanent zu hinterfragen und zu verbessern. Dies erfordert Veränderungsbereitschaft, transparente Steuerung und aktive Beteiligung der Mitarbeitenden.
- People Experience als nutzerzentrierte Servicevision Im Sinne der Konzepte von Mercer oder Bersin wird HR nicht nur als Dienstleister, sondern als Ermöglicher von Arbeitszufriedenheit und Bindung verstanden. Die Services orientieren sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer:innen – emotional, situativ und entlang der Journey gedacht. HR wird zur gestalterischen Schnittstelle zwischen Organisation und Mitarbeitenden, etwa durch individuelle Onboarding-Erlebnisse, empathische Trennungsgespräche oder personalisierte Lernpfade.
Diese drei Entwicklungsrichtungen sind keine Alternativen, sondern Bausteine eines integrierten Serviceverständnisses. HR Services werden zur Plattform – mit kontinuierlicher Verbesserung als Grundhaltung und der People Experience als strategischem Zielbild. Damit verändert sich nicht nur das „Wie“ der Leistungserbringung, sondern auch das „Wozu“ – weg vom Verwalten, hin zum Ermöglichen von Wertbeiträgen auf allen Ebenen der Organisation.
Fazit: Architektur mit Haltung – das HR Operating Model im Zeitalter der Verantwortung
Das HR Operating Model ist heute mehr denn je eine strategische Entscheidungsfrage. Es definiert nicht nur, wie Aufgaben verteilt werden, sondern spiegelt auch das Selbstverständnis der HR-Funktion: Will sie verwalten – oder gestalten? Will sie Services liefern – oder Beziehungen ermöglichen? Will sie Strukturen managen – oder Wirkung entfalten?
Die Weiterentwicklung des Ulrich-Modells, die Plattform-Logik der Beratungsmodelle und die serviceorientierte Praxis zeigen: Eine moderne HR-Architektur braucht nicht nur neue Tools, sondern ein neues Denken. Es geht um Kombination – nicht um Ablösung. Um Klarheit in Prozessen – und gleichzeitig Offenheit für individuelle Erlebnisse. Um technologische Skalierbarkeit – und menschliche Nähe.
HR-Teams stehen vor der Aufgabe, diese Komponenten bewusst zusammenzuführen: Prozesse, Plattformen, Services und Rollen müssen so orchestriert werden, dass sie gemeinsam strategischen, kulturellen und individuellen Mehrwert schaffen. Nicht jede Organisation braucht das gleiche Modell – aber jede braucht ein Modell, das Wirkung entfalten kann.
Wer heute ein HR Operating Model entwickelt oder neu ausrichtet, sollte sich weniger an Zuständigkeiten orientieren, sondern an den Fragen: Wofür steht unsere HR-Funktion? Welchen Beitrag soll sie leisten? Und wie machen wir diesen Beitrag für Führung, Mitarbeitende und Organisation dauerhaft spürbar?
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