
In unserem letzten Beitrag zum Learning-Thema haben wir diskutiert,dass Learning & Development (L&D) immer mehr zum zentralen Hebel der Workforce Transformation wird. Dabei geht es nicht nur um Re- und Upskilling, sondern um die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens und der Organisation auf ihrem Transformationspfad. Führungsentwicklung, Resilienzförderung und Unsicherheitsreduktion gehören genauso dazu wie der Aufbau einer transformativen Lernkultur.
Gleichzeitig schreiten die Entwicklungen im Bereich KI-Technologien voran und verändern die Ausgangslage grundlegend. Mit der Integration von KI in den Arbeitsalltag wandelt sich nicht nur das Was des Lernens, sondern auch das Wie und Wozu. Learning wird individueller, datengetriebener und steht stärker unter dem Anspruch, Wirkung nachzuweisen.
Viele Unternehmen starten AI Literacy Programme, testen Self-Service-Lernformate oder bauen Skill-basierte Entwicklungspfade auf. Doch die Fragen bleiben: Welche Formate funktionieren wirklich? Wie lässt sich KI sinnvoll in Lernprozesse integrieren – technisch, didaktisch und organisatorisch? Welche Rolle übernimmt L&D, und wie kann die Verbindung zu HR, OE und Business gestärkt werden?
Die Diskussion wird komplexer und drängender. Viele Richtungen werden angestoßen, aber selten zu Ende gedacht. Deshalb lohnt sich ein genauer Blick auf die Themenbereiche, an denen sich diese Veränderungen derzeit konkretisieren – und an denen sich zeigen wird, wie anschlussfähig L&D 2025 wirklich ist.
Fünf Themen, die wir 2025 nicht mehr ausklammern können
Aus unseren Diskussionen und Beiträgen der letzten Monate zeigt sich: Es gibt einige Themen, die immer wieder aufpoppen – ob in Projekten, Strategieprozessen oder Tool-Entscheidungen. Sie sind nicht neu, aber sie gewinnen an Schärfe. Oft überschneiden sie sich, stellen neue Anforderungen und lassen sich nicht mehr getrennt voneinander denken.
Wir haben fünf Bereiche identifiziert, bei denen wir gerade besonders viel Bewegung wahrnehmen – und in denen wir glauben, dass es jetzt konkrete Diskussion braucht.
1. AI Literacy: Vom Grundlagenmodul zum strategischen Lernziel
Die Einführung von KI hat viele Unternehmen zum Handeln gezwungen – oft schneller, als ihnen lieb ist. Erste Trainings sind umgesetzt, „Prompt Basics“ werden vermittelt, manche Führungskräfte erhalten Crashkurse in Midjourney oder Copilot. Doch was bleibt davon hängen?
Die Frage nach der Befähigung und dem Empowerment zur Anwendung von KI-Hilfsmitteln wie Microsoft Copilot, ChatGPT & Co oder gar weitergehenden Spezialisten-Werkzeugen greift tiefer als bisher angenommen. Es geht nicht um Grundlagenkenntnisse, sondern um die Fähigkeit die Veränderungen im eigenen Arbeitsumfeld zu verstehen und angehen zu können. Sind die Kollegen ausreichend befähigt, die KI-Ergebnisse hinsichtlich ihrer Verlässlichkeit zu überprüfen? Wer kann prompten – aber auch reflektieren und den eigenen Arbeitsablauf in Frage stellen und verändern? Viele Fragen und Herausforderungen für die Organisation, die es zu lösen gilt.
Was wir allerdings beobachten: Es fehlt oft aber an strukturierten Kompetenzmodellen, die sich an Rollen und Anwendungskontexten orientieren. Das Thema “AI Literacy” braucht mehr als ein Training – es braucht einen Entwicklungsrahmen.
2. Adaptive Lernformate: Innovation oder Überforderung?
Ein weiteres Thema, das in vielen Unternehmen aktuell weit oben auf der Projektagenda steht, sind adaptive Lernformate. Die Idee ist überzeugend: Lernangebote, die sich an individuelle Bedarfe anpassen, statt nach Gießkanne zu funktionieren. Tools versprechen personalisierte Lernpfade, automatisierte Empfehlungen und selbstgesteuertes Lernen per Klick. In der Praxis zeigen sich jedoch Brüche. Viele dieser Systeme überfordern – sei es durch unklare Bedienung, fehlende Einordnung oder schlicht durch eine Flut unverbundener Lernangebote.
Gerade Self-Service-Learning scheitert häufig nicht an der Technologie, sondern an der fehlenden Rahmung: Was genau soll ich lernen – und warum? Wer begleitet die Lernreise? Und wie erfährt L&D überhaupt, ob etwas gelernt wurde? Es braucht didaktische Klarheit, kontextuelle Relevanz und organisatorische Anschlussfähigkeit. Ohne das läuft auch das individuellste Format ins Leere.
In der Realität unterschätzen Organisationen oft die Komplexität auf der Nutzerseite – und übersehen, dass Personalisierung Orientierung nicht ersetzt, sondern voraussetzt. Zwar können intelligente Technologien Inhalte passgenau zuordnen, den Kontext verstehen müssen die Lernenden aber selbst. Adaptivität ist ein Werkzeug, kein Selbstzweck.
3. Programmgestaltung mit KI: Entlastung oder neue Komplexität?
Das Versprechen der KI-Propheten ist groß: KI kann Inhalte erzeugen, passende Lernpfade vorschlagen und Skill-Gaps mit automatischen Empfehlungen schließen. Das klingt zunächst effizient, schnell, skalierbar – und wirkt in der Präsentation oft verblüffend „frictionless“ und hoch effektiv. Doch die Realität in L&D-Teams sieht meist anders aus.
Denn was automatisiert wird, braucht trotzdem Steuerung – genauer gesagt: ein verlässliches Monitoring, klare Governance und vor allem eine passende Inhalte- und Datenbasis. Wer kontrolliert die Qualität der Inhalte? Wer justiert die Empfehlungen nach? Und wer trägt die Verantwortung, wenn Vorschläge nicht zur Zielgruppe oder zum Kontext passen? Das Tool kuratiert Inhalte – aber wer kuratiert das Tool?
In vielen Projekten verschiebt sich dadurch die Rolle von L&D fundamental: weg von der aktiven Redaktion von Lerninhalten und der Organisation einzelner Initiativen, hin zum orchestrierenden, prüfenden, begleitenden Knotenpunkt im Lernökosystem. Diese Rolle ist anspruchsvoll – und selten klar definiert. KI entlastet nicht per se. Sie verändert die Aufgaben – und fordert damit neue Strukturen, neue Kompetenzen und neue Erwartungshaltungen.
4. Digitales Lernen & Coaching: Integration statt Add-on
Als viertes Thema sehen wir die wachsende Bedeutung für die Umsetzung eines wirksamen Lernökosystems. Wer heute auf die Lernlandschaft in größeren Organisationen blickt, sieht: Es gibt viele Formate. Aber kaum Verbindung. E-Learnings, Lernvideos, Coaching-Plattformen, Microlearning-Angebote – alles ist da, aber vieles wirkt unverbunden, kontextlos oder nur punktuell genutzt.
Die Frage lautet also nicht mehr, ob digitale Lernformate angeboten werden – sondern wie systematisch und zielgerichtet sie in ein größeres Lerngefüge eingebunden sind. Die Idee des „Lernökosystems“ wird seit Jahren diskutiert. Doch echte Systeme entstehen erst, wenn Angebote integriert sind – funktional, thematisch, organisatorisch. Das bedeutet: Formate greifen ineinander, bauen aufeinander auf, sind in Ziel- und Feedbackprozesse eingebettet. Und das nicht nur im expliziten Lernkontext, sondern im übergeordneten Arbeitsalltag (Stichwort: Lernen im Flow of Work). Lernen ist dann kein zusätzliches Angebot, sondern struktureller Bestandteil der Entwicklungspraxis.
Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel Coaching: Digital verfügbar, skalierbar, methodisch ausgereift. Doch wenn es nicht in Entwicklungsziele, Talentpfade, Karriereentscheidungen und überhaupt ins alltägliche „Tagesgeschäft“ der Lernenden eingebettet ist, bleibt es ein vereinzelter Effekt. Das heißt: Wirkung entsteht dort, wo Lernen anschlussfähig gemacht wird – nicht nur zugänglich.
5. Change & Enablement: Neue Lernlogiken brauchen neues Handeln
Neue Lerntechnologien verändern nicht nur das Angebot, sondern fordern auch eine andere Haltung zum Lernen selbst. Sie machen sichtbar, wie reif eine Organisation im Umgang mit kontinuierlicher Entwicklung tatsächlich ist. Self-Service, Skill-basiertes Matching, AI-generierte Inhalte – all das setzt voraus, dass Lernen nicht mehr als Ausnahme gedacht wird, sondern als Teil des Arbeitens.
Diese Haltung entsteht nicht durch ein neues Tool. Sie scheitert oft schon daran, dass es zu wenig Raum für persönliches Lernen gibt. Dass Führung das Lernen nicht als Teil der gemeinsamen Aufgabenentwicklung versteht, nicht unterstützt – und schon gar nicht einfordert. Und dass es in der Organisation keine sichtbaren Fürsprecher für neue Lernwege gibt. Wo diese Bedingungen fehlen, greifen auch die besten Formate ins Leere.
Das bedeutet auch: L&D kann sich nicht darauf beschränken, Inhalte, Konzepte und Plattformen bereitzustellen. Es braucht zusätzlich den Blick auf Kommunikation, Begleitung und Feedbackprozesse. Nur wenn sich ein anderes Verständnis und ein passender kultureller Rahmen entwickeln, kann Lernen zum echten Veränderungstreiber werden.
Auch hier gilt: Die Veränderung im Lernverständnis wird technisch begonnen, aber nicht kulturell fortgeführt. Genau hier liegt der blinde Fleck. Enablement heißt nicht nur „Zugang schaffen“, sondern Lernfähigkeit entwickeln – in Teams, in Führung, in der Organisation als Ganzes. Das ist Change-Arbeit, keine Schulung.
Was wir beobachten – und worüber wir weiter ins Gespräch kommen wollen
Die fünf Themenfelder zeigen, wie tiefgreifend sich das Verständnis und die Praxis von Learning & Development derzeit verändern. Es geht nicht mehr nur darum, neue Tools einzuführen oder bestehende Angebote auszubauen. Es geht darum, Lernen als strategischen Prozess zu gestalten – mit klarer Ausrichtung, mit systemischer Verankerung und mit einem Verständnis dafür, dass Entwicklung nicht ohne organisationalen Wandel funktioniert.
Was uns dabei auffällt: Viele Projekte stoßen nicht an technische, sondern an strukturelle, kommunikative oder kulturelle Grenzen. Gerade deshalb brauchen wir den Austausch – über gelungene Ansätze, über Brüche und über offene Fragen.
Mit der Shift/HR Learning & Talent Development Konferenz 2025 wollen wir genau diesen Raum bieten. Am 02. Juli diskutieren wir mit Praktiker:innen, Strateg:innen und Technologieanbietern, wie Lernen in der Organisation neu gedacht und wirksam gestaltet werden kann – nicht theoretisch, sondern entlang konkreter Erfahrungen, Konzepte und Herausforderungen.
📍 Hier geht’s zur kostenfreien Anmeldung und zum Programmüberblick:
www.shifthr.de/events/learning-talent-development-konferenz.html
Wir freuen uns auf den Austausch – und auf Perspektiven, die die Diskussion weitertragen.
Wir legen großen Wert auf sachliche und unabhängige Beiträge. Um nachvollziehbar zu machen, unter welchen Rahmenbedingungen unsere Inhalte entstehen, geben wir folgende Hinweise:
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