
In der Vorbereitung auf die Shift/HR Learning & Talent Development Konferenz 2025 wird deutlich: Die Erwartungen an Lernen im Unternehmen verändern sich spürbar. Es reicht nicht mehr, Veränderung zu begleiten – Lernen muss Teil der aktiven Gestaltung werden.
In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick verstärkt auf ein Konzept, das schon länger bekannt ist, aber erst jetzt neue Relevanz bekommt: Adaptives Lernen. Lange blieb es ein Ideal – verbunden mit der Vorstellung, dass Lernen individueller, kontextsensitiver und wirkungsorientierter gestaltet sein müsste.
Doch was bislang vor allem in Coaching oder Einzeltrainings funktionierte, lässt sich durch neue technologische Möglichkeiten erstmals breiter umsetzen. KI-gestützte Systeme, datenbasierte Empfehlungen und automatisierte Lernpfade eröffnen einen neuen Spielraum: Lernen, das sich dynamisch anpasst – nicht an Planungslogik, sondern an reale Entwicklungsbedarfe.
Was das genau bedeutet, woher das Konzept stammt – und warum es gerade jetzt neue Antworten verlangt – damit beschäftigen wir uns in diesem Beitrag.
Warum adaptives Lernen kein neues Konzept ist – und trotzdem neue Antworten liefert
Wenn wir von adaptivem Lernen sprechen, dann geht es nicht um einen neuen didaktischen Hype. Die Idee, Lernprozesse an individuelle Fähigkeiten, Vorerfahrungen oder die Motivation der Lernenden anzupassen, ist so alt wie die Pädagogik selbst. Theoretisch lässt sich dieses Prinzip unter anderem auf die Arbeiten von Lev Vygotsky zurückführen. Sein Konzept der Zone der nächsten Entwicklung beschreibt den Unterschied im Lernergebnis, den ein Mensch allein – oder mit gezielter Unterstützung – erreichen kann.
Auch wenn Vygotsky ursprünglich kindliche Entwicklungsprozesse im Blick hatte, lässt sich der Gedanke gut auf die betriebliche Weiterbildung übertragen: Mit passenden Impulsen – etwa durch Coaching, Micro-Learning oder digitale Assistenz – können Mitarbeitende gezielter und schneller Kompetenzen aufbauen. Adaptive Lernformate greifen genau dieses Prinzip auf. Letztlich geht es um einen aktiven, konstruktiven Wissensaufbau – im eigenen Tempo, mit individueller Struktur. Das bildet die Grundlage dessen, was wir heute als Scaffolding oder individuelle Lernpfade bezeichnen.
In der betrieblichen Praxis war dieses Prinzip lange nur in kleinem Maßstab umsetzbar: in Präsenztrainings, Einzelcoachings oder Programmen mit hohem Betreuungsgrad. Mit dem Aufkommen digitaler Lernlösungen verlagerten sich die Prioritäten: Effizienz, Skalierung, Standardisierung. Learning Management Systeme (LMS) machten es möglich, viele Menschen gleichzeitig zu erreichen – aber kaum jemanden differenziert zu fördern.
Die Folge: Lernen wurde planbar, aber oft beliebig. Inhalte wurden ausgerollt, nicht abgestimmt. Für individuelle Entwicklung blieb im System wenig Platz. Dass adaptive Lernsysteme jetzt wieder in den Fokus rücken, ist deshalb weniger ein Technologiesprung als eine notwendige Korrektur.
Denn mit KI-gestützten Plattformen, semantischen Kompetenzmodellen und automatisierten Feedbackprozessen wird erstmals greifbar, was bislang nur in der Theorie überzeugte: Lernpfade, die sich mitentwickeln – dynamisch, datenbasiert und kontextsensitiv.
Doch diese neue Realität bringt neue Anforderungen mit sich. Denn die Möglichkeit zur technischen Individualisierung verlangt konzeptionelle Reife: Welche Lernziele sollen angesteuert werden? Welche Freiheitsgrade sind sinnvoll – und welche steuerbar? Und wie verhindern wir, dass Individualisierung zur Beliebigkeit wird?
Technologischer Sprung: KI macht Adaptivität skalierbar
Was adaptives Lernen aktuell so relevant macht, ist kein neues didaktisches Modell – sondern ein technologischer Entwicklungsschub. In den letzten Jahren hat sich das, was lange als Ideal galt, plötzlich realisieren lassen: Lernangebote, die sich dynamisch anpassen. KI, semantische Ontologien und lernende Algorithmen schaffen heute ein Fundament, das Lernprozesse in Echtzeit analysieren und steuern kann.
Systeme wie Area9 Lyceum, Sana Labs, Docebo oder Skillsoft Percipio arbeiten mit Technologien, die Inhalte, Lernverhalten und Kompetenzprofile laufend auswerten – und darauf basierend Empfehlungen aussprechen oder Lernpfade anpassen. Anstelle starrer Module treten Micro-Elemente, die sich kontinuierlich neu zusammensetzen. Für die Lernenden bedeutet das: weniger Durchklicken, mehr gezielte Unterstützung. Was als nächstes kommt, hängt nicht mehr vom Curriculum ab, sondern vom individuellen Entwicklungsstand.
Ein Blick auf aktuelle Studien unterstreicht die Dynamik: Laut dem McKinsey Learning Report 2024 planen 60 % der Unternehmen, ihre Lerninfrastruktur in den nächsten zwei Jahren KI-fähig auszubauen. Die Josh Bersin Academy und NIIT zeigen in ihrer Analyse: Organisationen, die auf adaptive Learning-Ansätze setzen, erzielen signifikant bessere Geschäftsergebnisse – und senken zugleich ihre L&D-Kosten um durchschnittlich 27 % pro Kopf.
Auch aus der Praxis gibt es Beispiele. Unternehmen wie Walmart, Shell oder Merck berichten in öffentlich zugänglichen Case Studies über positive Effekte: besseres Lernengagement, schnellere Kompetenzentwicklung, stärkere Relevanz im Arbeitsalltag.
All das verändert die Erwartungshaltung. Lernangebote sollen heute nicht nur verfügbar und digital sein – sie sollen passen. Zum Kompetenzstand, zur Aufgabe, zum Rhythmus der Person. Die neue Logik ist klar: nicht mehr mehr Inhalte, sondern mehr Relevanz.
Adaptives Lernen als strategischer Hebel für Transformation
Die Wirkung adaptiver Lernsysteme erschöpft sich nicht in der Optimierung individueller Lernverläufe. Ihr eigentliches Potenzial entfaltet sich dort, wo Organisationen mit grundlegenden Transformationen ringen – also in nahezu jedem Unternehmenskontext. Digitalisierung, KI-Integration, Automatisierung, neue Geschäftsmodelle, der Druck zur Dekarbonisierung oder der Mangel an Fachkräften: All diese Entwicklungen machen kontinuierliches Lernen unverzichtbar. Aber eben nicht beliebiges – sondern zielgerichtetes, anschlussfähiges und kontextsensitives Lernen.
In diesem Umfeld wird adaptives Lernen zu einem strategischen Werkzeug. Es adressiert zentrale Stellhebel organisationaler Veränderung – und zwar auf mehreren Ebenen gleichzeitig:
1. Skill-basiertes Arbeiten ermöglichen
Klassische Stellenbeschreibungen verlieren in dynamischen Organisationen an Aussagekraft. Gefragt sind Systeme, die den Fokus auf Kompetenzen legen – und die Fähigkeit, diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Adaptive Lernsysteme leisten hier einen konkreten Beitrag: Sie machen sichtbar, welche Fähigkeiten fehlen, wo Entwicklungspotenziale liegen – und sie verknüpfen Lernangebote direkt mit den Aufgabenprofilen. So entsteht ein flexibleres, resilienteres Kompetenzmanagement.
2. Veränderungsbereitschaft stärken
Lernen ist nicht nur Mittel zum Zweck – es ist Voraussetzung für Wandel. Und zwar nicht als Pflichtprogramm, sondern als spürbare Unterstützung im individuellen Veränderungsprozess. Wenn Mitarbeitende erleben, dass Lernangebote auf ihren tatsächlichen Bedarf eingehen, dass Fortschritte sichtbar und erfahrbar werden, entsteht psychologische Sicherheit. Genau das braucht es, um Veränderungen nicht nur mitzutragen, sondern mitzugestalten.
3. Lernkultur neu ausrichten
Die Einführung adaptiver Lernsysteme verändert nicht nur das Wie, sondern auch das Verständnis von Lernen im Unternehmen. Weg von starren Trainingsplänen, hin zu selbstgesteuertem Lernen im Arbeitsfluss. Organisationen gewinnen dadurch nicht nur an Effizienz, sondern auch an Transparenz: über Entwicklungspfade, Lernverhalten und Kompetenzverteilungen. Lernende erleben mehr Autonomie – und Unternehmen erhalten neue Möglichkeiten zur Steuerung und strategischen Weiterentwicklung.
In der Summe zeigt sich: Adaptives Lernen ist kein Tool, das man einführt. Es ist ein Organisationsprinzip. Eines, das Lernen mit Strategie, Kultur und Wertschöpfung verbindet – und damit neue Spielräume für Transformation schafft.
Fazit: Zwischen technischer Machbarkeit und konzeptioneller Verantwortung
Adaptives Lernen markiert mehr als ein methodisches Update. Es steht für einen Paradigmenwechsel: weg von linearen Kurslogiken, hin zu Lernprozessen, die sich an Menschen orientieren – an ihren Kontext, ihr Vorwissen, ihre Aufgaben. Die Technologie ist da. Die Relevanz offenkundig. Und das Interesse in Organisationen wächst spürbar.
Doch genau hier beginnt die eigentliche Arbeit. Denn mit den neuen Möglichkeiten steigen auch die Anforderungen – an die Datenbasis, die Lernarchitektur und vor allem an die didaktische Gestaltung. Wenn Algorithmen Lernpfade bestimmen, braucht es Leitplanken. Wenn Systeme Entscheidungen treffen, braucht es Klarheit über Ziele, Kompetenzen und Kultur.
Wie also gestalten wir adaptive Lernangebote so, dass sie nicht nur skalierbar, sondern auch wirksam sind? Wie viel Individualisierung ist sinnvoll – und was bedeutet das für Steuerung, Qualität und Verantwortung im L&D?
Diese Fragen rücken jetzt in den Vordergrund. Sie stehen im Mittelpunkt der kommenden Diskussionen auf der Shift/HR Learning & Talent Development Konferenz – und auch im nächsten Beitrag hier im Blog. Darin werfen wir einen genaueren Blick auf die konzeptionellen, organisatorischen und kulturellen Voraussetzungen, die adaptives Lernen im Unternehmen wirklich tragfähig machen.
Wer das Thema weiterdenken will, ist herzlich eingeladen: Am 2. Juli 2025 diskutieren wir im digitalen Live-Format mit Expert:innen und Praktiker:innen, wie Lernen im Unternehmen neu gedacht und wirksam umgesetzt werden kann – adaptiv, strategisch und menschenzentriert.
Die Teilnahme ist kostenfrei – Anmeldung unter shifthr.de.
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